Die Spuren der Bilder
Ungewöhnliche Begleitung hatte die Klasse 7b bei ihrer letzten Exkursion: Am 23.10.23 war ein Kamerateam des WDR aus Aachen in die Kupferstadt angereist, und begleitete eine Wanderung der 7b durch Mausbach. Die Klasse hatte sich an der Social-Media-Kampagne „Spüre, was dahintersteckt“ des Bildungsbüros der Städteregion Aachen beteiligt.
„Spüre, was dahintersteckt“ gedenkt den Opfern der Novemberpogrome von 1938. Eine Zeit, die ihre düsteren Schatten bis heute wirft, die aber kaum noch durch Erzählungen von Zeitzeugen greifbar ist.
Umso wichtiger, dass junge Menschen sich mit dem Thema befassen. Und das am besten ganz nah, ganz konkret, in der eigenen Nachbarschaft. Das ist auch das Ziel der Kampagne. So heißt es bei der Städteregion: Die Kampagne „zeigt Menschen und Orte der Region, die mit den Verbrechen des Nationalsozialismus in Verbindung stehen. Die Bilder und Informationen wollen zum Nachdenken anrege: Es geht darum, die Vergangenheit zu verstehen, um zu spüren, was wir im Jahr 2023 schützen müssen“.
Auch die 7b wollte wissen, was in ihrer Nachbarschaft, in dem kleinen Dorf Mausbach, in dem die Kupferstädter Gesamtschule mit 16 Klassen vertreten ist, in den 30er und 40er Jahren geschehen ist. Dafür holte die Klasse sich zunächst fachkundige Unterstützung: den Arbeitskreis Geschichte Mausbach e.V. Mit dessen Hilfe erfuhr die Klasse schockierende Details aus der Nazizeit, die offensichtlich nicht nur im Geschichtsbuch in Form von Bildern und abstrakten Texten existiert, sondern gleich neben der Bushaltestelle, an der man jeden Tag aus dem Schulbus steigt, Realität gewesen ist.
Herr Kreutz, der Vorsitzende des Arbeitskreises Geschichte Mausbach e.V., besuchte die 7b bereits einige Tage vor der Wanderung. Er brachte aus seinem Archiv viel Bildmaterial aus den 30er Jahren mit. Auf diesen Bildern konnte man sehen, wie es früher in Mausbach ausgesehen hat. Der Unterschied zwischen dem früheren und dem heutigen Mausbach überraschte die Schülerinnen und Schüler. Anhand einzelner Straßen, Gebäude und mithilfe einer alten Karte aus dem Archiv gelang es ihnen aber, die Bilder aus der Vergangenheit im heutigen Mausbach zu verorten.
Vor allem Fotos, die um den Markusplatz herum aufgenommen worden waren, beeindruckten die Schülerinnen und Schüler. In den 30er Jahren existierte die Bushaltestelle, an der die Schulbusse täglich hin und herfahren, noch nicht. Dafür fuhren offenbar Straßenbahnen durch Mausbach.
Doch auf den Fotos war noch mehr zu erkennen: alte, gebückte Menschen, die Koffer schleppten, auf der einen, und bewaffnete Soldaten, die bedrohlich neben ihnen wachten, auf der anderen Seite. Was war das?
Herr Kreutz erzählte, dass früher viele alte Jüdische Menschen von Soldaten über Mausbach nach Köln transportiert wurden. In Mausbach gab es nämlich ein R.A.D. Lager (Reichs Arbeits Dienst). Auch von diesem Lager hatte Herr Kreuz Fotos, die er der Klasse zeigen konnte. In diesem Lager mussten die alten Leute tagelang ohne Betten leben, ja überleben, bis sie dann in ein anderes Lager gebracht wurden, wo sie meist getötet werden sollten.
Das waren also die alten gebückten Menschen – Menschen, die nichts verbrochen hatten. Einen Koffer durften sie mit sich tragen – das wenige, das ihnen geblieben war, war für die meisten bereits entkräfteten Menschen zu schwer. Das wissen wir durch Schriftstücke aus dem Archiv des Arbeitskreises. Im Bericht Ernst Razkis an dessen Vorgesetzten Dr. Lambrecht, zu jener Zeit kommissarischer Bürgermeister nach Lambertz, heißt es: „Am Mittwochabend 434 Juden angekommen, 80% aus Alters- und Siechenheimen sowie jüdischen Asylen aus Köln, der Rest aus jüdischer Wohngemeinschaft Köln Müngersdorf, ganz alte gebrechliche Leute, älteste war eine 92 jährige Frau, 10.30 abends mit Kleinbahn angekommen, in völlig erschöpftem Zustand, unter starker polizeilicher Begleitung (Stolberger und Mausbacher Polizei) zum Lager zu Fuß, hilfsbereite Mausbacher trugen Gepäck. Zwischenfall mit Frau Hahn (Leiterin NS-Frauenschaft): geriet über Verhalten in Erregung und riß Jungen und Mädchen Gepäck aus der Hand.“
Ein paar Tage später besuchte der Arbeitskreis, vertreten durch Herrn Kreutz und Dr. Ingermann, die 7b erneut. Gemeinsam wollten sie den Spuren der Bilder folgen. Herr Dr. Ingermann hatte dafür die Fotos mitgebracht, mit der die Klasse sich schon befasst hatte. An einzelnen Stationen hielt die Klasse an und Dr. Ingermann erklärte, was an den Orten genau geschehen war.
Die letzte Station war eine große Wiese am Waldrand von Mausbach (Derichsberger Straße). Dort ist das R.A.D. Lager gewesen. Kein Stein durchbricht das Grün der Wiese, nichts, was auf diesen Teil der Geschichte Mausbachs hindeuten würde, ist zu sehen. Und doch können die Schülerinnen und Schüler den Quellen sehr genau entnehmen, was passiert ist. So wie die Geschichte jenes Ehepaares, das den unwürdigen Bedingungen und der grausamen Dinge, die so noch erwarten würden, im Lager ein Ende setzte: In der Nacht vom 13. auf den 14. Juni 1942 nahm das Ehepaar Löwendahl das Gift Veronal und beendete so sein Leben. Ihre Gräber liegen auf dem jüdischen Friedhof in Aachen.
Beitrag beim WDR